Freitag, 4. Februar 2011

mein Tellerrand

Seit Tagen kann ich nicht anders, als immer wieder über Tag mal zu schauen, wie es in Ägypten aussieht. Ich habe nicht fasziniert, sondern völlig von den Socken verfolgt, was dort passiert ist. War beeindruckt vom friedlichen Aufbegehren der Menschen. Vom selbstverständlichen Miteinander unterschiedlicher Religionen und Altersstufen, wie auch Gesellschaftsschichten. ALLE waren da auf den Beinen...
Dann saß ich am Live-Ticker als Mubaraks Rede angekündigt war und als sie ausgestrahlt wurde... und dachte nur: das kann doch alles nicht war sein und denke es noch immer...
Da wird mein Tellerrand sehr sehr weit. Ich muss zugeben, das ist nicht immer so. Ich versuche zwar immer auf dem Laufenden zu sein, aber es gibt so viele Dinge, die ich nicht mitbekomme. Es gibt auch so vieles wozu ich keine eindeutige Meinung habe - wenn es um politische, gesellschaftspolitische, soziale Themen geht. Manches mal bin ich viel zu Oberflächlich in meinem Urteilen. Aber wenn so radikale Dinge in der Welt geschehen, denke ich, kann man nicht mehr unpolitisch sein. Da sollte man die Lampe des politischen Interesses einschalten. Man kann oft nicht wirklich etwas tun. Aber man sollte wissen, was geschieht und eine Meinung haben.
Da sind heute am zweiten Tag heftige Auseinandersetzungen weitergegangen, in einem Land, einer Stadt, wo noch vor drei Tagen Millionen Menschen friedlich für die Demokratisierung ihres Landes, für Veränderungen und ihre Form der Freiheit auf die Straße gegangen sind. Da haben Christen Muslime bei ihrem Mittagsgebet "beschützt" indem sie eine Menschenkette um die am Boden knieenden Beter machten.
Und heute wurden zu Hauf Journalisten attakiert, mussten ihre Hotels verlassen... Sicherheitskräfte haben Kameras konfisziert. Man will verhindern, dass weltweit sichtbar ist, was an Unrecht geschieht...
Das Ereignis, dass ich als erstes in dieser Intensität erlebt und wahrgenommen habe war der Fall der Mauer. Ich bin natürlich mit der "Selbstverständlichkeit DDR" aufgewachsen. Ich bin auch aufgewachsen mit einer Familie die teilweise "im Osten" gelebt hat. Mit Weihnachtspäckchen aus der DDR in die die Verwandten Geschenke gepackt hatten, über die wir uns köstlich amüsierten, weil sie so abstrus und wie aus einer anderen Welt waren - und ich erlebte, wie das alles zu Ende ging. Ich erinnere mich noch an den Abend des Mauerfalls, als ich von Freunden nach Hause kam und meine Eltern voller Anspannung vorm Telefon saßen. Mein Patenonkel wohnte in Westberlin und seine Schwester mit Tochter und Enkelkindern in Ostberlin. Wir warteten dann gemeinsam... und spät am Abend habe ich zum ersten Mal mit meiner Cousine telefoniert, die ich bis dahin nur aus Briefen und von Fotos kannte...  da war ich 21 und sie ein oder zwei Jahre jünger und wir haben beide geweint, weil das irgendwie alles zu viel war.
Politik ist, wenn ich ehrlich bin, auch was stink langweiliges. Innenpolitik erst Recht. Das Schlagwort Politikverdossenheit ist eines der schlimmsten Wörter, aber ich kann es niemandem verübeln. Trotzdem würde ich mir manchmal wünschen, die Leute - Junge, Heranwachsende, die, die mitten im Leben stehen und auch die Alten, die immer nur über die Zeit heute jammern (ok, nicht alle) würden einfach mal die Arschbacken zusammenkneifen und sich nur halb soviel für solche Dinge interessieren, wie für so manche "Bildungsveranstaltung im TV" a la Dschungel-Camp (weil´s gerade noch aktuell ist).
WIR sind Deutschland wenn es um den Papst, die Fussball WM oder EM oder neuerding den European Song Contest geht. Aber sind wir in irgendeiner Form irgendwas, wenn es um Umbrüche, Entwicklungen, Grundsatzentscheidungen geht? Bekommen wir das mit? Haben wir eine Meinung?
Ich hab sie oft genug nicht - zu oft. Wir sollten sie aber haben - zu möglichst vielen Dingen. Da muss man sich dann halt mal festlegen, man kann eine Meinung ja auch wieder revidieren - wenn man neue Erkenntnisse hat. Man kann einen Standpunkt sich immer weiter formen lassen - in der konkreten Auseinandersetzung.
Aber man wird zu Kuh auf der Herde, deren ganzer Lebensinhalt darin besteht, zu kauen und dann wieder zu kauen und neu zu kauen - ach ja, zwischendurch schlafen -und nicht zu vergessen: wir sind ja produktiv: Milch geben...
Liebe Kühe der Welt: Entschuldigt diesen Vergleich - Wir Menschen sind ja doch ganz nett. Und es gibt soooo viele, die hinschauen und sich eine Meinung bilden und die auch bereit sind mal drüber zu reden und sie zu sagen - laut und deutlich. Wer keine Meinung hat, der ist nicht greifbar. Den kann man nicht "packen" - und der packt auch keinen anderen.
Mich hats "gepackt" - ich schaue weiter auf Ägypten - ach ja, auch auf diese dämliche Frauenqoutendiskussion und die Lebensmittelzusätze und den RAF-Prozess in Stuttgart, die Hausbesetzerszene, das Burka-Verbot.... man kann nicht alles im Blick haben, aber bei den wirklich großen Dingen: Leute, da kann man nicht wegschauen....

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