Samstag, 29. November 2014

Im Labyrinth des Schweigens - Für Geschichte(n) ist man weder zu jung, noch zu alt...



 http://www.ndr.de/kultur/film/labyrinth106_v-podcast.jpg


Seit dem 6.11. läuft in unseren Kinos ein Film, der schnell in den Programmkino´s gelandet ist. Mal wieder schade!
Ich habe nach Mitgängern gesucht - aber das Thema... na ja. Ja, ich kann es verstehen, wenn mir gesagt wird "och nö, sorry, aber da hatte ich in der Schule echt genug davon - hoch und runter!"
Und doch dachte ich eben: DAS ist ein Film für jedes Alter. Warum?
1958 - ich habe keine Ahnung, wie sich das anfühlte damals in Deutschland. Vielleicht kann man ahnen, wie es war, wenn man sich an persönliche Lebenssituationen erinnert, in denen man ganz tief unten war - und es dann langsam aufwärts geht. Wenn du nach einer großen Trauer zum ersten Mal aufwachst und die Freude auf den Tag spürst. - Keine Ahnung.
Der Film beruht auf wahren Begebenheiten. Fritz Bauer - Generalstaatsanwalt und Thomas Gnielka - Journalist, waren zentrale Figuren auf dem Weg zu den sogenannten Auschwitz-Prozessen. Da geht es ja vielleicht schon los. Die Nürnberger Prozesse kennt jedes Schulkind. Aber danach?
Ich selbst - obwohl ich den Trailer vorher gesehen hatte - war nicht ganz klar, welche Geschichte da genau erzählt wurde ;-)
 Es ist erschütternd und beeindruckend zugleicht, wenn man als Jahrgang 68 auf der Leinwand sieht, wie damals 20jährige, nach Auschwitz gefragt, antworten, sie hätten keine Ahnung. Man sieht vor seinem inneren Auge so manchen 20jährigen heute - sorry, aber so wird es in allen Generationen vor uns gewesen sein und auch nach uns so kommen. Und gerade deshalb ist die Geschichte um den jungen Staatsanwalt Johann Radmann so beeindruckend. Auch er weiß im Grunde nichts. Ich bin in den Film gegangen, weil mich ein Satz im Trailer beeindruckt hat. Gnielka sagt zu Radmann "Dass ein deutscher Staatsanwalt nicht weiß, was in Auschwitz passiert ist, ist ein Skandal". Und ich dachte: ne, oder? Doch! "Wissen sie, was sie da anrichten? Wollen sie dass sich jeder junge Mensch in diesem Land fragt, ob sein Vater ein Mörder ist?" Auf diese Frage eines Kollegen antwortet Radmann "Ich will dass diese Lügen und dieses Schweigen endlich aufhören".
Das haben die Auschwitz-Prozesse geschafft. Die Menschen - vor allem die junge Generation konnte nicht mehr an der Tatsache vorbei schauen, dass Deutschland aufgebaut wurde von Menschen die "früher" mit dabei waren. Ich erinnere mich noch an die Zeit, als ich in der Schule den Nazionalsozialismus durchnahm. Ganz ehrlich: so super toll war das noch nicht. Ja, ich wusste was passiert war. Ich fand alles schrecklich. Wollte das vielleicht auch alles so ausführlich nicht wissen - und mit dem Jahr 1945 hörte dieses Kapitel dann auch auf. Und ja, ich fragte meine Eltern. Und sie erzählte von der Zeit als sie Kinder waren, Jahrgang 1945 mein Vater und meine Mutter 1946. Und ich fragte meine Großeltern. Bekam mehr oder weniger ausführliche Antworten. War aber schon beeindruckt, als ich hörte, das meine Uroma in Saarbrücken damals eine Weile immer morgens antreten musste. Prügel abholen. Sie hatte Mumm, diese Frau, die ich als Kind so unglaublich streng und verbittert wahrgenommen habe. Hatte in aller Öffentlichkeit Hitler ein Arschloch genannt. Ich hoffe, ich habe in paar Gene von ihr ;-) Und? Ich war beruhigt! Ich konnte auf etwas in der Vergangenheit meiner Familie zurückschauen, das mich nicht beschämte, sondern stolz machte. Daran musste ich heute denken, als ich vom Kino zurück fuhr. Und mir vorstellte, wie es damals gewesen sein musste, als man Ende der fünziger, Anfang der sechziger Jahre anfing sich selbst Fragen zu stellen. Und vielleicht den eigenen Eltern. Und Onkeln. Und Schwiegervätern. Und ....
Ja, schrecklich für die Familien. Für Söhne und Töchter. Echte Auseinandersetzung oder sich selbst mit Blindheit schlagen um mit der Vergangenheit der eigenen Familie klar zu kommen? Die Figur Radmanns zeigt auch diesen inneren Kampf - wenn Helden fallen.
Der Film zeigt auf beeindruckende Weise, dass es wirklich Menschen gab, die keine Vorstellung hatten, was sich in den Konzentrationslager WIRKLICH ereignet hatte. Keine Idee, keine Ahnung vom Ausmaß des Leidens hatten. Das zeigt beeindruckend die Kameraführung in den Szenen, wenn Radmann und Schmittchen, die Sekretärin, die alles mitschrieb, die Überlebenden von Auschwitz befragten, um Beweise und Namen und Hintergründe zu sammeln. Und man muss nicht hören was erzählt wird - man hört auch nichts, man hört Musik und sieht Gesichter, die Entsetzen und Fassungslosigkeit und auch Verzweiflung zeigen.
Angelehnt an die wahren Begebenheiten und in einem guten Erzählstrang an einem persönlichen Schicksal entlang, öffnet dieser Film eine Sicht auf eine Zeit in Deutschland, die mir immer nur in Zuckerwatte und Petticoat präsent war. Und er öffnet eine Sicht auf die Mahnung des Vergessens.
Fritz Bauer - der damalige Generalstaatsanwalt Hessens - hat angeregt, dass am Landgericht Frankfurt der Satz "Die Würde des Menschen ist unantastbar" prangt. Kommt bekannt vor? GUT! Steht ja auch im Grundgesetzt, ganz am Anfang. Heute habe ich manchmal das Gefühl, das wissen viele Mitbürger und Mitbürgerinnen nicht mehr. Und haben auch kein Gefühl mehr dafür, was damals passiert ist. Wenn ich sehe, welche Sprüche und Artikel Menschen die ich kenne, und die ich sympathisch finde und nett, bei Facebook und co mit Likes versehen, wird mir ganz anders.
Auch deshalb finde ich diesen Film so sehenswert - und würde ihn am liebsten auf besten Blockbuster-Zeiten in den großen Kinos sehen. Weil er erinnert und weil er ein Plädoyer dafür ist, den Mund aufzutun. Anzumahnen. Aufmerksam zu machen. Stimme zu erheben.
Ein Dank an Giullio Ricciarelli für dieses Erinnerungswerk.

http://imlabyrinth-film.de/trailer

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