Dienstag, 16. September 2014

der sanfte und der harte weg - IN LOVING MEMORY OF PHILIP SEYMOUR HOFFMAN - "A Most Wanted Man"

"A most wanted man ist nicht politisch, aber es geht um Politik". Das sagt Anton Corbijn über seinen Film. Es geht um viel mehr...
Es ist - und das hat mich eigentlich ins Kino getrieben ohne den genauen Inhalt des Filmes zu kennen - der letzte Film mit Philip Seymour Hoffman. Der Mann der Capote spielte, den man zuletzt in den Tributen von Panem sehen konnte. Ihm haftet der Ruf eines der ganz Großen an. Der gegangen ist. Im Februar diesen Jahres starb Seymour an einer Überdosis. Ein Charakterschauspieler, ein Bühnenschauspieler, mehrere große Nominierungen, ein Oscar, ein Golden Globe - und als Jahrgang 1967 war da noch nicht Ende der Fahnenstange. "Er war in Höchstform... Er hinterlässt ein unglaubliches Loch in der Welt der Schauspielerein." So Corbijn.
Die Schlussszenen dieses Filmes überraschen so in ihrem harten Fall in eine gespielte Realität, dass man die Wut, Sprachlosigkeit, Hilflosigkeit und vielleicht sogar Resignation des Hauptprotagonisten tief drinnen nachvollzieht, mitempfindet. Günther Bachmann leitet eine dt. Spionageeinheit. Handlungsort: Hamburg (großartig, völlig untypische Bilder, nichts Verbrauchtes). Er und sein Team (hier zu sehen Daniel Brühl und Nina Hoss) "existieren nicht" - so sagt Günther es. Jenseits der Legalität, im Dunkeln, da, wo die offiziellen Stellen nicht agieren. Er kämpft für seine Sache und den tschetschenischen Flüchtling Issa, der nach Folter in der Türkei und in Russland in Deutschland abtaucht, weil nur dort ein Ausweg aus seiner hoffnungslosen Lage wartet. Anabel Richter - Rachel McAdams!!! - ans Gute glaubende, pazifistische Anwältin einer Hilfsorganisation gerät gemeinsam mit Issa (großartig gespielt von Grigoriy Dobrygin) in den Strudel des Vermächtnisses von 9/11: der Angst und zu was sie die Menschen treibt.
Mit stillen Bildern, eingebettet in eine unaufällige und somit grandios wirkende Filmmusik (von Herbert Grönemeyer) erzählen Regisseur und seine Mimen die Geschichte - tja, von was?
Davon wohin die Gesellschaft geraten ist, seit der radikale Terror unserer Zeit eben diese Zeit zerreißt und die Gesellschaft teilt. In Kämpfer und Opfer, in Radikale und Gemäßigte, in angstvoll Politisierende und ignorant Schweigende. In die Masse und die Anderen. In "Die" und "Wir". Terror säht Aktivismus - manchmal blind. Und Sprachlosigkeit. Und Aggression und hier und da Widerstand.
Günther Bachman ist der Gute. Obwohl er doch auf der Seite der dunklen Machenschaften steht, der Abhörer und Belauscher, der Geheimniskrämer und Vertuscher... oder? Gibt es gute Gute und böse Gute? Oder gute Böse und böse Böse?
Der Film thematisiert nicht die Frage nach dem Terror, nach dem Islam, nach religiösem Fanatismus. Er thematisiert die Frage, wie ein einzelner mit seiner Verantwortung umgeht und wie Systeme reagieren. Wie Macht funktioniert. Er thematisiert die Grenze guten Willens, der in einem schier unauflöslichen Teufelskreis ausgebootet wird. Erstickt wird. Mundtod gemacht wird.
Heute morgen saß ich in einer Konferenz und hörte von einem Fachmann für Prävention im Bereich religiöse Radikalisierung über Muslime, über Konvertiten, über Salafisten und die Sven Lau´s dieser Tage. Ach ja, Sonntag Abend - Tatort. Na... ja. Heute morgen bei 1Live im Radio ein Interview mit einem jungen Iraker der zu den Waffenlieferungen befragt wurde "was hälst du davon" und er fragte in seiner Antwort, in der er beteuert, dass er den Westen schon verstehen kann, was passiert mit den Waffen, wenn DIESER Krieg vorbei ist?
Der Film "A Most WANTED MAN" ist für mich ein Film der uns ins Nachdenken bringen kann, wie weit wir gehen dürfen oder können im Namen der Sicherheit, der Verteidigung, der Hilfeleistung. Darüber wo Grenzen sein müssten oder auch könnten. Über Krieg und Frieden. Über Vertrauen. Über den Mut etwas anders zu machen.
Heute morgen habe ich gelernt, dass Jihad "erst mal" nur für Anstrengung, für Bemühen, für den Einsatz für eine Sache steht. Und die Welt lehnt sich auf, gegen die fehlgedeutete kriegerische Interpretation dieses religiösen Begriffes.
Und wofür setzen wir uns ein? Für friedliche Lösungen? Für Ausdauer jenseits von Kampfhandlungen? Für langen Atem bei "den anderen" Wegen? Für echte Unterscheidung? Für klare Worte oder für harte Fakten in Form von militärischer Unterstützung?
Der Film trifft mich ganz persönlich in meiner Sprachlosigkeit und vielleicht hat mich auch deshalb die Schlussszene so gepackt, in der dieser ungepflegte, unsympatische und doch so packende Spionagetyp ins Nichts geht - wie sein Bemühen, wie seine gute Absicht, wie sein Einsatz...

"A MOST WANTED MAN" ist einer der sehenswerten Filme. Ich fürchte, er wird so manchem Kinobesucher zu anstrengend sein. Zu wenig Aktion. Zu viel Nachdenken. Ich hoffe, er wird all denen, denen Denken nicht zu akrobatisch ist, einen Anlass geben über das ganz eigene nachzudenken - denn da fängt es an. Bei meinem Misstrauen. Bei meiner Unwissenheit. Bei meiner Sprachlosigkeit.
Es gibt den harten Weg und den sanften Weg - ich bin für den sanften Weg. So in etwa sagt es Günther Bachmann. Der sanfte Weg.


Foto: „Philip Seymour Hoffman 2011“ von Georges Biard - Eigenes Werk. Lizenziert unter Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 über Wikimedia Commons - http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Philip_Seymour_Hoffman_2011.jpg#mediaviewer/File:Philip_Seymour_Hoffman_2011.jpg

Die Corbijn-Zitate entstammen dem Artikel

"Ich fühle mich auf der Welt nicht besonders zuhause" Stern, Onlineausgabe, 13.9.2014 von Sophie Albers Ben Chamo

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen